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Fehler machen ist Ok!

 

Anbei meine Auszüge aus:

SZ Nr. 96, Samstag/ Sonntag, 25./26. April 2020

50 Gesellschaft Familie und Partnerschaft

Von Julia Rothhaas und Tanja Rest

 

Streit, Schreien und Vorwürfe sind in der momentanen Situation in vielen Familien an der Tagesordnung, wenn es um den Spagat zwischen Kinderbetreuung, Homeschooling und Homeoffice geht.

„Scheitern ist schwer. Immer. Für das Kind, weil es noch nicht gelernt hat, dass Scheitern zum Leben dazu gehört. Und für die Eltern, weil sie wollen, dass das Kind Erfolg hat und glücklich ist. Genau hier steckt der Denkfehler.„ “Wir tun alles, um unsere Kinder vor Misserfolgen oder Kummer zu bewahren, was aber auch bedeutet, dass sie nie lernen, mit Rückschlägen umzugehen“, schreibt die US-Pädagogin Esther Wojcicki in ihrem Buch „Panda Mama. Wie man glückliche und selbstbewusste Kinder großzieht“. Sie plädiert dafür, vor allem Selbständigkeit zu fördern.

Während man bei kleinen Kindern weiß, dass sie sich nicht entmutigen lassen, Hunderte Male hinzufallen bei Ihrem Versuch, laufen zu lernen, bekommt das schulische Scheitern eine andere Dimension – auch ohne die Ausnahmesituation durch Corona.

 „Das Lernen in der Schule steht immer unter dem Beurteilungsaspekt, womit letztlich die Leistungsorientierung der Gesellschaft reproduziert wird“, sagt Severin Sales Röder. Der 35 – Jährige lehrt Erziehungswissenschaften an der Humboldt – Universität Berlin und beschäftigt sich seit Jahren mit der Produktivität von negativen Erfahrungen im schulischen Lernen. „Es gibt Kinder, die geprägt sind von dem Glauben, dass nicht ihre Leistung, sondern sie als Person bewertet werden“. Das führe zu Stress und Angst. Für Rödel ist das Problem dabei vor allem der Zeitdruck: „Der wichtige Prozess, sich über seine Fehler Gedanken machen zu können, ist ein Stück weggefallen – weil schlichtweg keine Zeit mehr dafür bleibt aufgrund der Menge an Stoff, die durchgenommen werden muss.“

 

…Wenig hilfreich ist da der Impuls, seine eigenen Erfahrungen teilen zu wollen.

 

…Überlegen Eltern hingegen gemeinsam mit dem Kind, was schief gelaufen ist und wie es beim nächsten Mal klappen könnte, kann es erkennen, welche Chance im Patzer steckt, und ist beim nächsten Versuch motivierter. Allerdings darf man Fehltritte auch nicht verharmlosen…Entscheidender sein es, klare Ansagen zu machen und Kinder selbst nach der richtigen Lösung oder Strategie suchen zu lassen, anstatt sie ihnen einfach nur vorzukauen.

 

…Fabienne Becker – Stoll leitet das Staatsinstitut für Frühpädagogik in München und findet: „Das oberste Ziel der gesamten Pädagogik lautet, jedes Kind stolz zu machen. Allerdings nicht auf die Leistung, sondern auf sein Selbst.“ Mit Unterschieden hätten Kinder zunächst kein Problem, sondern erst dann, wenn diese emotional bewertet werden….Nicht zu unterschätzen sei allerdings auch der Umgang mit Fehlern in der eigenen Familie. „Kinder können dann gut verlieren, wenn sie diesen Moment nicht als Beschämung erleben. Und Eltern geben oft unbedacht die Kränkungen weiter, die sie als Kind selbst erlebt haben.“

 

Als wäre das alles nicht schon kompliziert genug, erlebt die Beziehung zwischen Eltern und Kindern in diesen Wochen einen Härtetest. Die gewohnten Strukturen sind weg. Kein Büro, keine Schule, keine sozialen Kontakte. Alle wollen nur das Beste, alle scheitern. Die Eltern, weil sie die Grätsche zwischen Home-Office und Homeschooling nicht hinbekommen und sich an die gemeinsam aufgestellten Regeln zum Teil selbst nicht halten. Und die Kinder, weil sie vom selbständigen Lernen überfordert sind. Beide Seiten empfinden das Scheitern des anderen als persönlichen Affront – was es in den seltensten Fällen ist und was alles noch viel schwieriger macht.

 

…“Aber vielleicht ist es zumindest eine gute Sache in dieser Pandemie, dass Kinder in Bezug auf unsere Fehlerkultur aus nächster Nähe sehen, dass ihre Eltern genauso zu kämpfen haben wie sie.“ (Anmerkung: sagt Severin Sales Rödel)

 

…Man wird, um es einmal positiv zu formulieren, viel lernen können aus der Corona – Krise. Nicht nur, was die Ungleichheit der Bildungschancen angeht. Oder wie wichtig Lehrer sind. Sondern auch, wie man als Familie das Scheitern bewältigt, jeden Tag aufs Neue.“